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Lese-Schwierigkeiten im Alltag

Lese-Schwierigkeiten im Alltag
Tagebucheintrag von Julia Weis, 1995

von Julia Weis

Wer normal Lesen und Schreiben kann, hat kaum eine Vorstellung, wie es ist, eben diese Grundlegende Technik nicht ausreichend gut zu beherrschen.

Wie oft man im normalen Alltag mit dem Lesen konfrontiert wird.

Doch weniger klar ist, das zB. bei meiner Corona-Impfung meine größte Angst nicht die Nebenwirkungen waren, sondern das ich dort einen Antrag ausfüllen musste. So machte ich mich vorab schlau. Noch von zu Hause aus füllte ich mit Hilfe meines Vorlese-Programms den Antrag aus und brachte ihn fertig ausgefüllt mit.

„Ich bin kein Analphabet, ich kann doch Lesen. Zwar nicht gut und schnell und gewiss nicht automatisch. Doch eine Freundin meinte; im Grunde bewegst du dich, wie ein Analphabet durch den öffentlichen Raum. Und sie hat recht!“

— Lernerin Julia Weis

Am Impf-Zentrum angekommen, hatte ich zwar Angst vor den vielen Info-Schildern die zu lesen währen. Aber wer davor etwas wartet und sieht was die anderen Menschen tun, der tut das Gleiche.

Bei der ersten Impfung, lief es wie geplant und ich war Glücklich. Bei der zweiten Impfung hatte ich keine Angst mehr. Ich tat das Gleiche und fühlte mich sicher. Doch plötzlich hieß es, mein Antrag sei veraltet. Panik ergriff mich, als mir der Mann einen neuen leeren Antrag hinschob.

Mein Herz schlug bis zum Hals und etwas verlegen sagte ich, das ich nicht lesen könne. Doch ich versuchte es und stellte fest, das der neue Antrag genau wie der Alte aussah. So kreuzte ich alles genau so an, wie beim Alten, ohne auch nur ein Wort gelesen zu haben.

Der Mann mir gegenüber war zu Frieden und ich ärgerte mich, das ich nicht bemerkt hatte, das mein Antrag veraltet war.

Dieser Stress war echt unnötig!

Julia im Schulalter
Tagebucheintrag von 1995

Als Analphabet wird jemand bezeichnet, der nicht lesen und schreiben kann. In Deutschland ist dies sehr selten. Viele Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, können meist Buchstaben und Wörter lesen, haben aber Probleme mit Texten. Auch weil das Wort „Analphabet“ ausgrenzend ist, sprechen wir besser von „gering literalisierten Personen“. Viele Betroffene bezeichnen sich allerdings selbst manchmal als Analphabeten, weil der Begriff bekannt ist und nicht erklärt werden muss.

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